
Erwartet hatte ich einen Anruf vom Lieferanten des vor Monaten bestellten Telefontischchens. Der würde mir einen Termin zwischen sechs und zwanzig Uhr an einem Tag seiner Wahl nennen, zu dem ich mich bitte rundumdieuhr in der Nähe der Eingangstür aufhalten solle.
Statt dessen vernehme ich eine Stimme, die einen unangenehmen und aufgesetzt sachlichen Tonfall hat. Das könnte immer noch der Lieferdienst sein.
„Isch hab’s Kind entführt. Isch will zwanzschtausend Euro in kleen Scheinen.“, meldet sich eine männliche Stimme.
„Wie bitte?“
„Isch hab’s Kind entführt. Zwanzschtausend. Was gibt’s do nisch zu versteh’n?“
„Hören Sie, Ich bin erst vor kurzem hierher gezogen und kann mit dem hiesigen Dialekt noch nicht richtig umgehen. Da müssen Sie sich bitte schon ein wenig Mühe geben. Sonst versteh‘ ich gar nix.“
„Ok, isch geb‘ mir Mühe.“ jetzt klingt er schon nicht mehr ganz so schnippisch. „Also noch mal für de Exoten. Ich habe ihr Kind entführt. Zwanzigtausend in kleinen, unmarkierten Scheinen.“
„Idioten?“, fauche ich ihn an, „haben Sie mich eben Idiot genannt?“
„Exoten – ich habe Exoten gesagt. Herrgottnochmal.“
„Und das mit den unmarkierten Scheinen haben sie am Anfang auch nicht gesagt“, werfe ich ein.
„Egal, sag ich‘s eben jetzt – unmarkiert. So. Aber“, nach einer kurzen Denkpause ergänzt er: „sie haben doch am Anfang rumgejammert, dass sie nichts verstehen. Aber für unmarkiert hat‘s wohl doch gereicht.“
„Eben gerade nicht“, der scheint doch wohl mit dem Klammerbeutel gepudert, „Sie haben eben nicht ‚unmarkiert‘ gesagt.“
Schweigen.
„Darf ich eine Frage stellen?“ Ich kann das Gespräch ja nicht einfach so abreißen lassen.
„Was?“ Na, der hat ja eine Laune. Wenn ich so eine Laune habe, rufe ich niemanden an.
„Als Entführer, müssten sie da nicht so ein Stimmdings haben, das ihre Stimme wie mundvollknödel klingen lässt? Oder so.“
„Ja, hatte ich bestellt, hat aber nicht richtig funktioniert. Hab ich gleich wieder zurückgeschickt. Muss auch ohne gehen.“
„Mir soll’s recht sein. Solange sie so reden, dass ich‘s verstehen kann.“
Er setzt nochmal an.
„Das ist der Deal“, er gibt sich erstaunlich Mühe, „Sie besorgen das Geld bis nächsten Mittwoch und wir sehen zu, das es ihrem Sohn den Umständen entsprechend gut geht. Verstanden?“
„Geht klar“, bestätige ich und frage noch nach, „Mittwoch Vormittag oder geht auch nachmittags? Am Vormittag hätte ich nämlich einen lange vereinbarten Pediküretermin. So was lässt sich nur ganz schwer verschieben.“
Leicht zerknirscht murmelt die Stimme am anderen Ende der Leitung: „Meinetwegen. Aber keine Minute später. Und keine Mätzchen, verstanden?“
Aufgelegt. Unhöflicher Mensch.
Paar Minuten später. Das Telefon. Schon wieder. „Verträgt ihr Sohn Erdnüsse?“, die Stimme des Entführers, diesmal mit einem leicht gereizten Unterton.
„Wieso Erdnüsse?“, Erdnüsse waren noch nie ein Thema für ihn.
„Er sagt davon wird ihm schlecht und er muss kotzen“.
„Ach Quatsch. die Masche versucht er immer, wenn er was nicht mag. Sagen sie ihm einen schönen Gruß von mir und er soll sich nicht so anstellen. Oder noch besser: geben sie ihm keine Erdnüsse sondern Walnüsse. Aber nicht so kaputt geknackt sondern möglichst in ganzen Hälften.“
„OK, mach ich. Und keine Polizei, kapiert?“, wirft er nun ein wenig eingeschnappt hinterher.
„Wann, bitteschön, soll ich denn die Polizei anrufen, wenn sie hier dauernd die Leitung belegen.“, eingeschnappt kann ich auch. Dann aber, auch um ihn ein bisschen versöhnlicher zu stimmen, immerhin hatte er ja was, das mir gehört: „Aber das versteht sich doch von selbst. Nicht mal meiner Nachbarin werde ich’s erzählen, denn deren Ex war bei der Steuerfahndung. Ist das eigentlich auch Polizei?“
„Ich glaub‘ schon.“
Wieder ein wortloser Moment am Telefon. Eigentlich unnütz. Aber ist ja Flatrate. Und wenn nicht, er hat ja angerufen, da konnt‘s mir grad egal sein.
„Wollen sie ein Lebenszeichen von ihrem Sohn?“, fragt er nun schon versöhnlicher.
„Ach, nach den Erdnüssen glaub‘ ich’s ihnen auch so.“
„OK dann“.
Er hat aufgelegt. Schon wieder ohne sich ordentlich zu verabschieden. Ja, wo leben wir denn?
Wo sollte ich denn die zwanzigtausend hernehmen? Was dachte der Kerl sich eigentlich? Erst klaut er einem das einzige Kind und dann will er auch noch ein Heidengeld dafür haben. Ich klappe das Board in der Schrankwand herunter und gieße mir einen Amarula aus der Hausbar ein. Für besondere Anlässe. In dem Briefumschlag hinter der Flasche wären ja schonmal fünfzehnhundert. Aber die sind eigentlich für Alex, den Ukrainer, der mir das Schlafzimmer malern soll. Das musste jetzt wohl noch eine Weile in dem vergammelten Azurblau bleiben. Gott, was hatte den Vorbesitzer da geritten. Azurblau! Dazu gibt’s gar keine passenden Bettbezüge.
„Hören sie, ihre Scheissblage hat mir jetzt den Teppich vollgekotzt“, poltert er ohne jeden Gruß direkt zu Beginn des dritten Telefonates los.
„Setzen sie es doch einfach auf die Rechnung.“, entgegne ich ungehalten. Der soll sich bloß nicht so haben wegen dem bisschen Kinderkotze, hat mir ja immerhin das Kind entführt. Da muss man sowas abkönnen. Aber schnell sehe ich ein, das die Motzerei zu gar nichts führt. Ich muss mich kooperativ zeigen.
„Nehmen sie warme Seifenlauge. Wenn die Kotze noch frisch ist, wischt sich das weg wie nix. Und an dem Geld, da bin ich dran“.
„Das will ich ihnen auch geraten haben. Sonst bekommen sie den Jungen in kleinen Portionen zurück“. Pause. „Oder gar nicht“. Für einen Augenblick lasse ich mir den Gedanken auf der Zunge zergehen, verwerfe ihn aber dann.
„Ich tu was ich kann, aber hexen kann ich auch nicht. Darf ich fragen, was der Bub‘ gerade macht?“.
„Er sieht fern, wieso?“
„Ach, immer dieses dauernde Fernsehgeglotze. Wie lange hängt er denn schon vor der Kiste?“
„Seit um vier“. Entsetzt schaue ich auf die Uhr. Halb acht. „Dreieinhalb Stunden? Schämen sie sich denn gar nicht? Sie haben gesagt ‚den Umständen entsprechend gut‘. Was sollen das denn für Umstände sein, die rechtfertigen, das ein Kind dreieinhalb Stunden vor der Glotze hockt?“
„Eine Entführung zum Beispiel.“ Die Antwort kam trocken und prompt.
„Na gut, ausnahmsweise“, gebe ich klein bei, „aber nicht dass er nur wieder dieses blöde Wrestling guckt, davon halte ich gar nichts.“
„Wo läuft denn das?“
„Wo läuft was?“
„Na, das Wrestling“
„Was weiß denn ich? Ich interessiere mich nicht für so ein Schmierentheater.“
„Was heißt hier Theater?“
„Na, sie glauben doch wohl nicht, dass diese Kämpfe Ernst sind, oder?“. Jetzt ist er wohl richtig sauer. Er hat gleich aufgelegt. Ruft aber ein paar Minuten später schon wieder an.
Im Hintergrund sind nun Geräusche eines Kampfes und ein tobendes Publikum zu hören.
„Jetzt hören sie mal!“, poltert er los, „Ich bin hier der Entführer. Ich mache die Ansagen und sie gehorchen. Sonst“, ein albernes krck-Geräusch ist vermutlich von einer Daumenbewegung quer über den eigenen Hals begleitet. Nicht sehr beeindruckend.
„Ja, das kenn‘ ich. Bin ich seit fünf Jahren von geschieden, von so einem Ansagenmacher. Und jetzt zahlt er immer noch. Und nicht zu knapp.“ Mist, das ist mir so rausgerutscht nach dem Macho-Scheiß. Und er schnappt das auch sofort auf.
„Dreißig“
„Was dreißig?“
„Dreißigtausend“
„Sie spinnen wohl! Zwanzig für ein Kind, war der Deal“, brülle ich in den Hörer. Nun bin ich sauer. „Krieg ich jetzt anderthalb Kinder für dreißig oder wie stellen sie sich das vor?“, blaffe ich ihn an.
Ich höre, wie ein alter, angerosteter Abakus in seinem Kopf zirkuliert. Dreisatz für Anfänger.
„Nix. Ich habe keine anderthalb Kinder. Nur eins. Ihres“, seine Stimme entfernt sich von der Sprechmuschel. Nach hinten ruft er: „Geh aus dem Bild, Bengel!“
Was macht der Junge da? Zappelt der wieder stehend vor der Glotze rum?
„Er hat mir gar keine WhatsApp geschickt“, sage ich mit gedrückter Stimme, „Er schickt mir immer eine WhatsApp mit einem Meme, wenn er aus der Schule kommt.“
„Was ist denn ein Miem?“
„Na so ein lustiges Bildchen, mit einer Katze, die grinst oder einem Rapper der die Zunge rausstreckt.“
„Welcher Rapper?“
„Was weiß denn ich? Aber heute habe ich kein Meme gekriegt.“
„Natürlich nicht. Das Handy war das erste, was ich ihm abgenommen habe. Bin ja nicht blöd.“
Ich stutze für einen Moment. Hat er das wirklich getan? Hat er dem Jungen tatsächlich das Handy aus der Hand genommen? Mit so einem skrupellosen Kerl ist nicht zu spaßen.
Ich glaub‘s ihm noch nicht.
„Was hat er denn gesagt, als sie ihm das Handy weggenommen haben?“
„Nichts“
„Nichts?“
„Gar nichts. Konnte nicht.“
„Wie – konnte nicht.“
„Mit Socke im Mund und Sack überm Kopf kann man nicht reden.“
„Ach so.“ Ich setze neu an.
„Sack überm Kopf, das ist doch gefährlich! Da kann man doch ersticken oder so.“
„Nee, keine Angst, reine Baumwolle, aus dem Bio-Laden in der Kaiserstraße. Ist auch besser wegen Allergien und so.“
Na, wenigstens das.
„Und das Handy?“
„Hab‘ ich. Ist ihm aber auch ziemlich egal. WLAN-Passwort kriegt er sowieso nicht.“
Das leuchtet mir ein.
Nach kurzer Pause er nun wieder: „Ob sie wissen, wo seine rote Jacke ist“. Ein Satzbau, das jammert den Hund mitsamt der Hütte.
„Die mit dem SC Freiburg Sticker an der Seite?“, frage ich.
„Die mit dem SC Freiburg Sticker an der Seite?“, ruft er nach hinten. Und dann:
„Ja, die mit dem SC Freiburg Sticker an der Seite.“
„Nee, keine Ahnung. Muss er selbst wissen, wo er sein Zeug verschmissen hat. Warum hatten sie jetzt nochmal angerufen?“
Nach einem grübelnden Moment:
„Na weil ich hier die Ansagen mache, weil ich der Entführer bin und keine Polizei und so.“
„Ach ja, hab‘ ich verstanden.“
„Ja und was ist nun mit meinen dreißig?“
„Ich habe keine dreißig.“
„Hm, wieviel haben sie denn?“
„Zwölfhundert.“
„Wollen sie mich verarschen?“
„Ok, fünfzehnhundert. Aber dann müssen sie mir, wenn das hier vorbei ist, das Schlafzimmer malern.“
„Und der Bengel?“
„Setzen sie den am 45er ab. Aber auf der richtigen Straßenseite. Sonst merkt der erst in Altfeld, dass er in die falsche Richtung fährt.“
„Ok, dann komm ich am Mittwoch zum Malern. Und keine Polizei.“
„Gut, so ab Mittag.“
„Wieso erst so spät?“
„Na wegen der Pediküre. Hab‘ ich doch erzählt, dass ich da den Termin hab‘“
„Ach ja. Wiederhör‘n. Bis dann.“
Vor dem Auflegen ordentlich verabschiedet.
Aus dem wird nochmal was.