Pflege drücken

Lieben Sie Geschichten? Ja, da sehe ich fast alle Arme oben.
Lieben Sie auch Horror-Geschichten?
Ich habe heute eine ganze Reihe gruseliger Geschichten gelesen.

Der Spiegel hat Berichte von Krankenschwestern und -pflegern zusammengetragen, die über ihre besonders schlimmen Dienste im Kontext der Überlastung und Unterbesetzung in den Krankenhäusern vornehmlich – wen wundert’s – Berlins berichteten.
Und da, das kann ich Ihnen sagen, sträuben sich mir die Nackenhaare. Da gruselt’s mir.
Menschen starben unbegleitet auf den Fluren, inmitten anderer Wartender. Fünf bis sieben Gebärende teilten sich eine Hebamme, Wunden blieben unversorgt.
Ja, sind wir denn verrückt geworden? Lassen wir wirklich zu, dass man das uns und unseren Mitmenschen antut? Lassen wir wirklich zu, dass Krankenschwestern, die einst mit hohem Ethos und Glauben an den Wert des Lebens in den Beruf einstiegen, derartig verbraten werden bis sie schließlich unter der Last zusammenbrechen und sich lukrativeren Tätigkeiten zuwenden, wie zum Beispiel Formulare ausfüllen oder “IT” oder rumtelefonieren?
Als ich mir einen Cappuccino machen wollte und dazu die Maschine einschaltete, leuchtete im Display die Aufschrift “Pflege drücken”.
Ja, die Kaffeemaschine wusste Bescheid.

Lassen Sie uns heute mal die Pflege drücken.
Alle, die es auch heute noch aushalten, andere, völlig fremde, schwache Menschen zu pflegen, sollen gedrückt werden. Und nicht nur heute. Wir alle sollten “Pflege drücken”, nicht jeden Tag, denn die müssen ja arbeiten, da brauchen sie die Hände frei. Aber ab und an.
Pflege drücken heißt vor allem eines: Wert schätzen.
Ein Beispiel: vor vierzig Jahren, in der “guten alten Zeit” also, lernte ich selbst als Krankenpfleger im Kloster Lehnin, kein Witz. Bei Diakonissen.
Ein dort operierter Bauer aus der Umgebung kam nach seiner Genesung zurück in das Krankenhaus. Im Gepäck hatte er zwei Spankörbe zum Dankeschön.
Einer war gefüllt mit Äpfeln. Rot und leuchtend, zum Reinbeißen halt. Der war für die Schwestern der Station.
Der andere, sein Inhalt war mit einem Tuch verdeckt, war für den Stationsarzt. Neugieriger weise lupfte die Stationsschwester das Tuch. Der Korb war zweilagig gefüllt mit Honiggläsern.
Was will ich damit sagen? Dass Krankenschwestern mehr Honig bekommen oder essen sollen?
In Berlin habe ich später Informatik studiert und anfangs als Administrator gearbeitet.
Nun, in der Zeit als Krankenpfleger hatte ich mitunter das Privileg, Menschen das Leben zu retten. Manchmal sagte man mir Danke dafür.
Dann, als Administrator habe ich ab und an Dateien gerettet und die Leute dankten mir auf Knien.
Wir setzen eindeutig auf das falsche Pferd.

Erinnern Sie sich an den Beginn der Pandemie? Da spürte ich einen Funken der Hoffnung, als plötzlich das Wort “Systemrelevanz” die Runde machte. Natürlich hatte das ein gewisses Geschmäckle, da es ja auch Irrelevanz für das System implizierte.
Aber immerhin waren tendenziell schonmal die Richtigen gemeint. Die, die den Buckel krumm machen. Für uns.
Die mit der Hand am Arm ihren Job machen und damit unsere Gemeinschaft stützen.

Was ich gut fände: die Schwestern und Pfleger kriegen einen Stempel auf die Stirn.
Mit so einem Stempel wird man immer beim Bäcker vorgelassen.
Oder darf ohne Anmeldung bei irgendwelchen Ämtern vorsprechen. Zur Not bleibt der Oberbeamte auch mal länger da, wenn der enge Dienstplan der Krankenschwester keine andere Zeit zulässt.
Auf dem Rummel dreht das Karussell noch ‘ne Extrarunde, weil eine Altenpflegerin in einer Gondel sitzt. Beim Aussteigen gibt’s eine Gratis-Zuckerwatte.
Und Parken ohne Parkscheibe (sic!) ist überhaupt kein Ding. Unter dem Schild “Fair Play – hier werden Sie voll fett und unverschämt abkassiert” steht der Zusatz: “Krankenschwestern selbstverständlich ausgenommen”
So, genau so, würde ich mir Wertschätzung vorstellen. Und da haben wir noch gar nicht von den dauerhaften, steuerlichen Vergünstigungen gesprochen.
Na, merken Sie es selbst? Jetzt wollen Sie dann plötzlich auch Krankenschwester oder Altenpfleger sein.

Manche Probleme ließen sich so einfach lösen.