Untrügliche Zeichen

Frühling wird’s.
Ach ich schreib’ so gern, wenn’s Frühling wird.
Als erstes zitiere ich dabei aus dem Osterspaziergang: “Vom Eise befreit sind Strom und Bäche …”. Vielleicht deshalb, weil es eines von einer Handvoll Gedichten ist, die ich fast komplett draufhabe (Und da ist Morgenstern’s “Fisches Nachtgesang” noch nicht mal mitgezählt.)
Als nächstes halte ich Ausschau nach frühen Frühlingsboten. Das ist natürlich eher so ein mentales Aussschauhalten. Ich gucke da nicht wirklich aus der Türe raus, in der Hoffnung etwas anderes als die Schneeglöcken im Nachbarsgarten zu erspähen.
Insbesondere in diesem Jahr erlangt das Frühlingserwachen eine besondere Bedeutung für mich, ist es doch das erste Erwachen in einem völlig neuen Landstrich.
Vor einem guten halben Jahr bin ich aus dem Moloch Berlin in ein ach, so süßes Städtele im Markgräfler Land gezogen. Für alle, die jetzt nicht sofort aufspringen und rufen: “Ach, Schatz, jetzt wohnt der im Markgräfler Land. Da iss’ aber schön” sondern eher mit feinen Grübelfalten auf der Stirn sinnieren: “Wo soll’n ditte sein?” erkläre ich die Lage mal.
Pieks’ eine Nadel mitten in’s Baseler Zentrum, eine zweite in den Freiburger Münster und eine letzte in das französische Mülhausen (Moulhouse, wie der Kenner sagt). Dann spannst Du einen Faden um die Nadeln. In der Mitte des so entstandenen Dreieicks liegt: das Markgräfler Land. Solltest Du die Anweisungen nicht auf einer herkömmlichen papiernen Landkarte, sondern mit Google Maps auf einem LED-Bildschirm exerziert haben, ist jetzt der Zeitpunkt, vor dem Weiterlesen einen neuen Monitor anzustöpseln.
Zurück zum Markgräfler Land. Im Markgräfler Land ist fast immer “Weinfescht”. Das muss man auch tatsächlich mit einem “sch” sprechen, sonst versteht’s hier keiner. Auf dem Weinfescht gibt’s immer Wein und manchmal, zum Beispiel, wenn’s Weinfescht mit Ostern oder Weihnachten zusammenfällt, auch Geschenke. Meistens aber mehr Wein. Und es gibt nicht das eine Weinfescht. Nein, es gibt gefühlt pro Dorf und Wochenende mindestens ein Weinfescht.
Und ganz besonders in der Faschingszeit, zum Karneval oder, wie es hier heißt, zur “Fasnet” ist Weinfescht angesagt.
Kostüme, gegen die ein Fummel von Vivienne Westwood harmlos ausschaut wie der Flanellschlafanzug bei der Übernachtungsparty, werden übergestreift und mannshohe Blechblasinstrumente umgeschnallt. Dann geht’s mit Pauken und Trompeten, und natürlich Wein, um die Häuser. Anschließend werden Instrumentarium und Verkleidung wieder im Reisebus verstaut und der kutscht die Truppe dann nach Hause oder in’s Nachbardorf zur nächsten Fasnet.
Eine Zäsur: an dieser Stelle werde ich ein wohl gehütetes, lokales Geheimnis in die weite Welt hinausposaunen, als wäre ich der mit dem Sousaphon:
Betrachtet man zum Beispiel auf schulferien.org den Ferienplan für den Februar oder März, so sieht das auf den ersten Blick ziemlich mau aus. Kein grün, keine Ferien, arme Kinder, arme Lehrer.
Hinter vorgehaltener Hand aber gilt folgende Vereinbarung für die Woche, in der die Narren und anderen mopsfidelen Gestalten Rathaus und andere Örtlichkeiten öffentlichen Gebrauchs belagern und umwidmen: in der Fasnet-Woche ist es den Schulen freigestellt, ob sie die armen Schüler mit dröger Algebra traktieren oder aber als Alternativprogramm eher auf soziale Bildung setzen und im Rahmen der Fasnet Woche lokales Brauchtum wie Umzug, Omabesuch und Kurzurlaub fördern.
Spoileralarm: flächendeckend entscheidet man sich für das Alternativprogramm. Weinfescht.
Um nun die Spaßbremsen im kühleren Norden endgültig zur Weißglut zu treiben: diese Woche taucht in keinem Schulkalender als Ferienwoche auf. Muss also beim Ländervergleich fairerweise oben drauf gelegt werden.
Berlin macht das etwas umständlicher. Die vergurken erstmal eine Wahl, dann muss die wiederholt werden und damit die Narren dann ausreichend Zeit zum Feiern haben, kriegt man als öffentlich bestallter Wahlhelfer zwei Tage Freizeitausgleich. Oder natürlich drei Tage, wenn man Chef ist. Oder dessen Stellvertreter. Und dann gibt’s Weinfest. Damit die Tische nicht bekleckert werden, legt man da mal schnell noch ein paar Papierservietten drunter. Upps, waren Wahlzettel. Ach, komm, es ist Fasnet in Berlin!
Doch genug der Abschweifungen. Schreiben wollte ich über untrügliche Zeichen für den herannahenden Frühlings.
Die sind regional unterschiedlich. Na, mal abgesehen von Schneeglöckchen vielleicht.
In Berlin zum Beispiel, wenn im Tale das Hoffnungsglück grünt (Du merkst: Goethe) da sieht man auf der Straße als erstes Anzeichen vermehrt Speckröllchen in Corona-Qualität sich unter viel zu kurzen Pullovern keck hervorzwängen. Bald darauf folgen die qualifizierten Fahrradfahrer. Sie steigen von den SUV’s nun wieder um auf das Karbonrad um aus einer stromlinienförmigen Sitzposition heraus die verbliebenen Autofahrer ob ihres rücksichtslosen Fahrverhaltens zu beschimpfen und mit ausgestrecktem Lieblingsfinger ihrer Ansicht Nachdruck zu verleihen.
Doch was nun sind die Anzeichen des herannahenden Frühlings, auf die ich mich nun hier, im neu zu erobernden Markgräfler Ländle, freuen darf. Ein erstes untrügliches Zeichen ist bereits jetzt unübersehbar:
Straußi ist so etwas wie ein Weinaussschank mit Zusatzverpflegung, weil ja mit Hunger oder Durst ein Wein nicht wirklich schmeckt. Der, die oder das Straußi (über den Artikel scheint man sich nicht einig zu sein) wird praktischerweise direkt vom Weinbauern am Platz der Entstehung betrieben. Das spart den Umweg über Markt, Weinkeller und Frau, die die Flasche aus dem Keller holen muss. Außerdem sitzt sich’s dort recht gemütlich. Doch irgendwann, so zwischen Herbstbeginn und Weihnachten machen die Straußis alle dicht und begeben sich in den Winterschlaf.
Doch alsbald kitzelt die wieder wärmer werdende Sonne dem Weinbauern das weinrote Näschen, worauf dieser niest und verschlafen blinzelnd seine Gemahlin mit den Worten anstupst: “Ja, ist denn schon Weinfescht?”
Diese wiederum schiebt die noch eingeschlafenen Füße in die Puschen und geht die Straußi-Bedienung wecken. Die Straußi-Bedienung nun wirft der Weinbäuerin ein frisches, ausgeschlafenes “dobry dzien” entgegen (das ist polinsch und heißt Guten Tag) und begibt sich in den Schankraum, wo sie mit frischem Schwung die Fensterläden zurückschlägt und die frische Luft einströmen lässt. Dieses Klappern der Fensterläden nun ist im ganzen Tal, ach, was sag’ ich, im ganzen Land zu hören.
Und alle wissen: Horch, der Frühling naht. Bald ist wieder Weinfescht. Und bis dahin gehen wir in’s Straußi.
Das ist ein untrügliches Zeichen für den nahenden Frühling.