Veröffentlicht in Badische Zeitung 17.05.2023 “Wie die Müllheimer Musikschule Top-Talente ausbildet“
Was können die Markgräfler eigentlich richtig gut?
Weinbau, klar. Aber die allerbesten Ergebnisse erzielen sie vermutlich – im Klavierspielen.
An der Müllheimer Musikschule gibt es ausgezeichnete, junge Klavierspieler. Und ausgezeichnet bedeutet in diesem Fall echte Preisträger. Bei dem diesjährigen Landeswettbewerb “Jugend musiziert” für Baden-Würtemberg übertrafen die sechs Teilnehmer der Musikschule Müllheim im Bereich Klavier Solowertung alle Erwartungen. Alessio Piussi (17, aus Schiengen) und Annelie Rieber (15, aus Dattingen), erlangten nicht nur einen 1. Preis, sondern erreichten als zwei von insgesamt nur sieben Teilnehmern in ganz Baden-Württemberg die höchstmögliche Punktzahl. Neben den beiden errangen die anderen vier Teilnehmer Yvonne Xu (11, aus Müllheim), Ludwig Berndt (12, aus Müllheim), Maja Ibing (16, aus Badenweiler) und Louis Schelle (15, aus Freiburg) alle durch die Bank weg einen ersten Preis. Yvonne Xu, die das Mindestalter von 12 Jahren noch nicht erreicht hatte, muss noch ein Jahr warten, alle anderen erhielten aufgrund ihrer großartigen Leistung eine Einladung zur Teilnahme am bundesweiten Wettbewerb.
Wäre das Fußball und nicht Klavier, sie hätten vermutlich gemeinsam mit ihrer Lehrerin Dorothee Graf-Schwehr winkend auf dem Balkon des Müllheimer Rathauses gestanden und wären als Stars bejubelt worden.
Aber Pauken und Trompeten, das ist ihre Sache nicht. Ich habe die Gelegenheit, Lehrerin und vier der jungen Stars zu begegnen. Ein inspirierendes Treffen.
Sie begegnen mir still, freundlich, zurückhaltend, ohne in sich gekehrt zu sein. Man spürt, dass sie es gewohnt sind, hoch konzentriert, hartnäckig und effizient zu arbeiten. Maja erzählt, wenn kein Klavier zur Hand ist, übt sie, indem sie im Kopf das Stück spielt, dabei auf einzelne Nuancen achtend, den Ausdruck in einzelne Passagen prüfend.
Großartige Kinder, interessante junge Menschen, dazu eine enthusiastische Lehrerin, deren Wirken viel weiter geht, als Kindern und Jugendlichen in Technik, Musikalität, Ausdruck zu unterrichten. Was sind das für Jugendliche? Wieviel Disziplin, Selbstdisziplin, Druck steckt dahinter, wenn man mit vier Jahren das erste mal am Klavier sitzt um dann nach Jahren kontinuierlichen Übens ein Instrument so zu beherrschen? Sie lachen mich aus, als ich ihnen diese Frage stelle. “Es ist die Begeisterung und Liebe zur Musik, die mich antreibt”, bestätigt mir Annelie, die anderen nicken zustimmend. “Und wenn ihr mal ein Stück spielen müsst, dass langweilig ist oder euch nicht gefällt?” “So etwas gibt’s bei uns gar nicht. Unsere Lehrerin wählt die Stücke sehr passend für uns aus und bespricht die Auswahl mit uns.”
Dorothee Graf-Schwehr erläutert: “Bei mir gibt es keinen Druck. Ich will hier niemanden dressieren. Ich möchte die Kinder zu eigenständigen, musikalischen Persönlichkeiten heranziehen.” Mit welcher Energie und Freude sie dabei herangeht wird klar, als Maja ergänzt: “Sie ist mit soviel Elan dabei, bei ihr kann man gar nicht unmotiviert sein.”. Alle kichern, scheint zu stimmen.
Als Zwölfjähriger allein auf der Bühne. Dort am Flügel sitzend, vor dir das gespannte Publikum und mindestens eine Viertelstunde spielen. Alle Stücke auswendig, aus dem Kopf heraus. “Wie gehst du denn mit der Aufregung um?” Ludwig antwortet: “Richtig aufgeregt bin ich zum Glück nur kurz vorher. Ich versuche, mich so gut es geht, zu beruhigen. Aber dann, wenn ich am Klavier sitze, zittert schon mal das Bein.”
Alessio meint dazu: “Das Einspielen hilft. Die Stücke sind ausgiebig geübt.” Annelie erzählt, dass bei ihr die Freude auf das Spielen die Aufregung verdrängt. Die Stücke beherrrscht sie. Nur, wenn sie vor der versammelten Familie, mit Oma und Opa spielt, ist sie etwas aufgeregt. Wieder wird gekichert.
Viele Fragen auf meinem Zettel habe ich schon rausgestrichen. “Zockst du auch manchmal?” Alessio meint, früher ab und zu, aber eigentlich ist ihm das zu langweilig. Insbesondere jetzt, wo er ein Motorrad hat. Aber Klavier ist doch viel spannender als Zocken. Die Antwort klingt nur so lange eigenartig, bis er davon erzählt, wie er einzelne Passagen eines Stückes je nach aktueller Laune und Form ganz unterschiedlich interpretiert und spielt. Im Vergleich zu der Welt, die er sich und damit uns mit seinem Spiel erschafft, sind die schillernden Welten hinter dem Flatscreen nur eine schillernde Anhäufung von Pixeln. Annelie hat zu Hause gar keine Zeit für so etwas. Sie spielt auch noch Cello und wenn es mal nicht Musik ist, dann kocht oder backt sie oder kümmert sich um die Alpacas auf dem Hof. Und dann singt sie noch in der Freiburger Mädchenkantorei. “Aber das ist schon wieder Musik”, werfe ich ein. “Stimmt”, antwortet sie lakonisch. Musik, sie kann wohl gar nicht anders.
Maja ist eigentlich immer beschäftigt. Immer. Sie ist nun an einem zweisprachigen Gymnasium. Alles ist interessante Herausforderung. Selbst Mathematik und Physik sind spannend. Draußen skatet sie gern mit ihren Freundinnen. Ohne Tricks, allerdings. Finger brechen wäre ganz, wirklich ganz schlecht. Sie wüsste gar nicht, wo sie die Zeit für die Zockerei hernehmen sollte. Und Ludwig: er ist gern auf Bahnhöfen, interessiert sich für Züge. Nun, wer mit zwölf schon zum Bundeswettbewerb nominiert ist, wird vermutlich ausreichend Zeit auf Bahnhöfen verbringen können. Aber das sage ich ihm nicht.
Das Gespräch ist weit überzogen. Annelie und Ludwig müssen sich dringend verabschieden. Konzert. Verstehe.
Eine letzte Frage an Dorothee Graf-Schwehr. “Wenn sie sich für ihren Beruf etwas wünschen könnten, was wäre das?” Sie schaut mich ratlos an. Tatsächlich überlegt sie einen Moment. Dann sagt sie: “Nichts. Alles ist so, wie ich mir das wünsche”.
Und für mich ist klar, meine lebenslange Abstinenz von Klavierkonzerten werde ich am Sonnabend aufgeben. Statt dessen werde ich miterleben dürfen, wie diese jungen Menschen mit großartigem Talent und unfassbarem Fleiß in einem Probekonzert für den Bundeswettbewerb ihr können zur Schau stellen. Hoffentlich zittert Ludwigs Bein nicht so.